Jahrzehntelang rätselten Wissenschaftler darüber, welche Funktion der Großteil unserer DNA tatsächlich hat. Zwar kartierte das Human Genome Project unseren vollständigen genetischen Code, doch die Funktion von 98 % davon – den nicht-kodierenden Regionen, die keine Proteine direkt produzieren – blieb weitgehend im Dunkeln.
Am 25. Juni 2025 präsentierte Google DeepMind AlphaGenome, ein KI-System, das dieses genomische 'dunkle Material' erhellen soll. Das Modell kann DNA-Sequenzen mit bis zu einer Million Buchstaben verarbeiten und Tausende molekularer Eigenschaften vorhersagen, darunter Genexpressionsniveaus, RNA-Spleißmuster und die Auswirkungen von Mutationen in unterschiedlichen Zelltypen und Geweben.
"Das ist eines der grundlegendsten Probleme – nicht nur in der Biologie, sondern in der gesamten Wissenschaft", sagte Pushmeet Kohli, Leiter der KI-Forschung für Wissenschaft bei DeepMind. Das Modell verfolgt einen einheitlichen Ansatz zur Interpretation des Genoms und kombiniert Convolutional Neural Networks zur Erkennung kurzer Muster mit Transformern, die langreichweitige Wechselwirkungen modellieren.
In strengen Tests übertraf AlphaGenome spezialisierte Werkzeuge in 24 von 26 Aufgaben zur Vorhersage von Variantenwirkungen. Bei der Anwendung in der Leukämieforschung sagte das Modell präzise voraus, wie nicht-kodierende Mutationen krebstreibende Gene aktivieren – eine Fähigkeit, die bislang aufwendige Laborversuche erforderte.
"Zum ersten Mal haben wir ein einziges Modell, das langreichweitigen Kontext, Präzision auf Basenebene und modernste Leistung über das gesamte Spektrum genomischer Aufgaben vereint", betonte Dr. Caleb Lareau vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center, der frühen Zugang zu dem Tool hatte.
Obwohl sich AlphaGenome noch in einem frühen Stadium befindet, könnte es die Krankheitsforschung beschleunigen, indem es Wissenschaftlern hilft, jene genetischen Varianten zu identifizieren, die Krankheiten verursachen – und so die personalisierte Medizin revolutionieren. DeepMind stellt das Modell über eine API für nicht-kommerzielle Forschung zur Verfügung und plant eine vollständige Veröffentlichung in der Zukunft. Laut Demis Hassabis, CEO von DeepMind, ist dies ein Schritt hin zu seinem Traum, eine "virtuelle Zelle" für Medikamentenstudien und medizinische Forschung zu erschaffen.